J'avais peur – Ich hatte Angst - I was scared - Я был напуган!
Ich hatte ja bereits in meinem Beitrag «No comfort for russians» über das Abenteuer «Übertritt lettische – russische Grenze» berichtet.
Die folgende Szene hatte sich auf meiner Rückreise von Russland nach Deutschland bei der GrenzPassage Russland–Lettland ereignet und ich hatte Natalia, eine der Protagonistin in diesem RealTheater, versprochen, die Ereignisse niederzuschreiben.
"Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen!"
Bei den Russen ging es auf der Rückreise diesmal recht schnell und zügig voran und der Schlagbaum öffnete sich nach Pass- und Gepäckkontrolle wider erwartend, für die stinkende rollende Bruchbude in der ich saß (ich meine hier den Ecolines Bus), nach nicht mal mehr anderthalb oder zwei Stunden. Auf der Hinfahrt waren es knappe zehn Stunden, was ich aber in Zeiten des Terrors gegen Russland absolut unkommentiert akzeptiert habe. Der Transit auf der Hinfahrt wurde nicht wegen den russischen GrenzBeamten, die sich durch und durch korrekt, ruhig, professionell und geduldig verhielten, für mich zur Tortur. Dieser Umstand war dem Transportunternehmen ECOLINES und seinem Personal geschuldet.
Nun dachte ich in meiner grenzenlosen Naivität: «Da drüben wird es ja wohl nicht lange dauern» - weit gefehlt! Zunächst wurden die Pässe eingesammelt und dann passierte erst einmal stundenlang gar nichts. Wenigstens war der Busfahrer gnädig und man durfte den Bus verlassen, um sich die Beine zu vertreten oder um in einer ausgewiesenen Ecke mit Mülleimer eine Zigarette zu rauchen. Dann hieß es irgendwann: «Alle aussteigen, (ohne bitte)!».
Während der vorherigen Wartezeit kam ich ins Plaudern mit Natalia, einer Russin, die vor Jahren ihren Mann, einen Litauer, kennengelernt hatte und zu ihm nach Litauen und später nach England zog. Da standen wir nun, die gesamte BusBelegschaft, an irgendeinem Zollhäuschen und sahen unserem Bus nach, der in irgendeiner Halle verschwand. Natalia, die ein sehr gutes Englisch spracht, erklärte mir, dass der Bus geröntgt wird und fragte, ob wir uns einen Kaffee holen und eine Zigarette rauchen wollen. Ich stimmte zu, dass das eine gute Idee sei und wir stürmten den KaffeeAutomaten.
Auf dem kurzen Weg vom KaffeeAutomaten zur Raucherecke erzählte mir Natalia von ihrer misslungenen HüftOperation in England, auf die sie fast ein Jahr warten musste und über das marode Gesundheitssystem in England, als wir von einem lauten Rufen, ja ich würde fast sagen Brüllen, jäh unterbrochen wurden. Ein Grenzer kam eiligen Schrittes auf uns zu, postierte sich ein Meter vor uns und sah mich, und zwar nur mich, nicht Natalia und die Leuten in der Raucherecke mit hasserfüllten und glühenden Augen an und brüllte... brüllte und brüllte...
Ich tat mich schon in Russland mit meinem Russisch zuweilen schwer, aber da wollte ich ja wenigstens hin. Niemand kann von mir verlangen, dass ich zu Transitzwecke die gesamten baltischen Sprachen lerne. Mit anderen Worten, ich verstand kein Wort und wartete bis er sich entleert hatte. Als er also fertig war, blieb er noch, mich weiterhin anvisierend, eine Sekunde stehen und schien offenscheinig auf eine Antwort zu warten. Hätte sich die Szenerie in Deutschland zugetragen, hätte ich nach so einer Tirade wahrscheinlich gesagt: «Ihnen auch noch einen schönen Tag!», aber das hätte er ja wiederum nun nicht verstanden. Es blieb also still meinerseits und er drehte sich um und stampfte davon. Ich wendete mich Natalia zu und fragte: «What did he say?»
Natalia erklärte mir, dass sein Anliegen es war, mir, allen anderen, den russischen Grenzbeamten in der Ferne, ach am liebsten der ganzen Welt, zu erklären, welche Strafen in Lettland für ZigarettenSchmuggel zu erwarten wären, etwa empfindliche Geldstrafen bis hin zu Gefängnis und das, wenn er auch nur eine einzige Zigarettenpackung in dem Bus finden würde, harte Strafen folgen würden. Ich fragte Natalia: «Ja aber, warum erzählt er das ausgerechnet mir?». Ich meine, ich hatte bis dato ja bloß einen Kaffee in der Hand und Natalia war ja auch Raucherin und in der Raucherecke standen ja sogar Leute mit diesen qualmenden Corpora Delicti in den Händen...
Ich hatte sowieso das Gefühl, dass sämtliche Balten, die mir auf der Fahrt nach Russland oder eben im Transit begegneten, ihren gesamten geballten RussenHass – aus welchem Grund auch immer – gerne und ausführlich an mir abarbeiten wollten. Eine Vermutung im Bereich des Möglichen könnte mein ReisePass und die in der EU Datenbank hinterlegten Informationen zu meiner Person sein. Vielleicht geht EU-weit bei der Überprüfung meiner Person so ein rot blinkendes WarnFensterchen auf, was man vom Computer bei bösartigen Trollen, Viren oder HackerAngriffen kennt:
!ACHTUNG! - !RUSSLANDSYMPHATISANTIN!
Eine andere mögliche Erklärung könnte mein Aussehen sein. Mit meinen ostpreußischen Wurzeln, der daraus angelegten Physiognomie und meinen hohen Wangenknochen wurde ich schon auf früheren Reisen durch die Welt für eine Russin gehalten.
Ich habe mich zum Beispiel auf meiner Fahrt mit der TransSibirischen Eisenbahn, mehrmals sehr gefreut und war sogar ein wenig stolz, das Mitreisende erst nach dem ich den Mund aufgemacht hatte, bemerkten, dass ich gar keine Russin bin. Die plauderten nämlich einfach auf mich ein und als ich dann dran war, etwas zu sagen und meinen typischen Satz: «Ich spreche nur sehr wenig Russisch, aber ich lerne die russische Sprache.» vorbrachte, bekam ich zur Antwort: «Ah, Entschuldigung! Ich dachte, sie seien Russin.»
Gut! Wenn es das ist, ertrage ich mit Würde sämtliche Schimpfe oder Diskreditierung, und zwar gerne und mit sehr viel Stolz im Herzen. Jetzt muss ich mich nur noch ran halten mit meiner Russisch-Lernerei und dann können mich alle mal.... und zwar ausgesprochen gerne.... für eine Russin halten.
Doch nun zurück in die Szene. Wir kamen also in der Raucherecke an und plauderten weiter. Da bemerkte ich einen schwarz gekleideten Mann im mittleren Alter mit grau melierten Schläfen, der um den Mülleimer herum schlich. Natalia erzählte mir gerade noch etwas, ich bemerkte ihn nur im Augenwinkel. Er sah irgendwie aus wie ein Künstler, mit seiner schlichten und klassischen Kleidung, seiner wirren Frisur und einem DreiTageBart und weil mir der Anblick von armen Künstlern oder anderen Menschen, die sich nicht einmal Tabak, geschweige denn Zigaretten leisten können und deswegen in Ascheimern nach etwas Brauchbarem zu Rauchen suchen, aus Deutschland nicht unbekannt ist, holte ich schnell meine Zigaretten heraus und fragte auf Russisch, ob er eine möchte. Er winkte ab und umkreiste, sich den Kopf kratzend, weiterhin den Mülleimer. Ich wollte wirklich alles, aber ihn keines Falles kompromittieren und ging zu Natalia zurück. Doch dann plötzlich sah er mich an und erklärte halb verzweifelt, halb hilfesuchend auf Französisch, dass er ja eigentlich Zigaretten habe, sie aber in Panik, als der Grenzer so herum brüllte, in den Mülleimer geworfen hatte. Der ganze Mensch mit seinen weit aufgerissenen Augen und seiner unruhigen Mimik und Haptik machte auf mich den Eindruck, als wäre er seinen Zigaretten am liebsten hinter her gesprungen.
«Je suis vraiment désolé! Ici, vous en prenez une de la mienne. Ensuite, je vais vous aider à chercher.» - «Das tut mir sehr leid! Hier nehmen sie eine von meinen. Danach helfe ich ihnen suchen.», erneuerte ich mein Angebot.
Der arme Mensch nahm eine Zigarette von mir und da stand dann dieser ausgewachsene Mann vor mir, schaute mich mit großen Kulleraugen. wie ein kleiner Bub, an und gestand mir klagend und aus voller Brust: «J'avais peur!» «Ich hatte Angst!». Natalia von der Seite, fragte ganz besorgt: «What did he say?» Ich verschluckte mich am Zigarettenrauch, schaute ihn zurück mit großen Kulleraugen an, übersetzte Natalia rasch das französische Problem ins Englische und bekam einen meiner berühmt-berüchtigten Lachanfälle der Kategorie A. Es war dieser gesamten absurden Situation geschuldet. Irgendwo im Nirgendwo zwischen Russland und Lettland war halb Europa vertreten. Alleine dieses Sprachengewusel mit der Frage der Fragen: «What did he say?» Es brüllte ein Beamter auf Lettisch, jammerte ein Franzose auf Französisch, sorgte sich eine Russin auf Englisch und eine Deutsche übersetzte das Ganze in die universellste Sprache überhaupt, nämlich das Lachen und in diesem Falle in ein tosendes Gelächter. Ich konnte einfach nicht mehr und musste mich hinsetzten und mir den Bauch fest halten. Mir liefen die Tränen und ich schwenkte in dieser ganzen RealKomödie hin und wieder meinen Blick gen Osten. Denn grundsätzlich war mir gar nicht zum Lachen zu mute. Ich hatte eine viel zu gute Zeit in Russland und ein recht ungutes Gefühl wieder nach Deutschland zu fahren. Als sich der russische Schlagbaum nämlich öffnete und dieser gelbe rollende Schrotthaufen hindurchfuhr, hatte ich das Gefühl eine unsichtbare Faust schlägt mir in den Magen... Nun gut! Nun wusste ich auch warum. Dieser Brüllheini von lettischen Grenzer hatte den Bus voller Russen und anderer subversiver Kreaturen aus der Ferne wahrscheinlich schon mit Freuden ins Visier genommen und spähte seine Opfer aus...
Das Ganze hatte wirklich etwas und befeuerte meine Phantasie. In diesem ganzen Theater mit internationaler Besetzung stellte ich mir nun vor, wie es wohl wäre, wenn ein russischer Grenzbeamte, wie man ihn sich so vorstellt, in akurater Uniform, Mantel und Stiefeln, von seiner Seite hinter dem Schlagbaum nun im Stechschritt diese Szene betreten würde und auf diesen brüllenden, jammernden und lachenden Haufen trifft. In meiner Choreographie blieb er aprupt stehen, machte noch einen Paradeschritt, zog eine Augenbraue hoch und ein kaum wahrnehmbares Schulterzucken wäre mir nicht entgangen. Dann würde er eine perfekte Kehrtwendung machen und wiederum im Steckschritt die Bühne verlassen....
Das eigentlich Seltsame an diesen Kategorie A-Lachkrämpfen ist, dass sie zumeist in Situationen über mich kommen, wo kein Mensch auf die Idee kommen würde zu lachen. In der Vergangenheit schüttete ich mich zumeist einsam aus vor Lachen und meine Umgebung schauten entweder mich oder andere Beteiligte fragend an. Wie auch immer, dieser hier hatte auch seine positive Wirkung, da mein Lachen offensichtlich ansteckte. Natalia stimmte mit ein, der Franzose suchte zwar immer noch seine Zigaretten im Mülleimer, entspannte sich aber langsam, hatte auch nicht mehr diese Panik in den Augen und lachte irgendwie elegant-französisch und fröhlich vor sich hin. Und diese Energiewolke mit Explosionsgefahr, die der Grenzer hier zuvor hinterlassen hatte, löste sich ebenfalls in ein laues Lüftchen auf. Das nenne ich mal Völkerverständigung...
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