aus
«Durch den Kreis eines Jahres, bis in alle Zeiten...»
Buch II aus der Trilogie
«Das ganze Leben oder das Ganze leben»
«Durch den Kreis eines Jahres, bis in alle Zeiten» ist nach «Herr Hund & das Mädchen» das zweite Buch der Trilogie «Das ganze Leben oder das Ganze leben».
Die liebevolle Gemeinschaft am großen Teich wandelt durch den Kreis eines ereignisreichen Jahres, dass für die Protagonisten einiges auf den Plan stellt. Ihr Erleben spiegelt sich dabei in den Energien und den Kräften des Jahreszyklus. Viele Wege kreuzen sich und sorgen für ein dynamisches Kommen und Gehen. Doch mit Geduld, Erfahrung und Liebe meistern Marie, Hermes, Rose und all die anderen am großen Teich Seite an Seite und Hand in Hand das Unerwartete, Mysteriöse, Dramatische und all die Lektionen die das Jahr für sie ersonnen hat. Und damit sind und bleiben sie nicht alleine, denn der Zirkel wächst und gedeiht und sorgt dafür, dass Neues sprudelnd und kraftvoll inspiriert und Altes geehrt und erhalten bleibt.
Eine alte Ruine und ein alter Geist
Teil I
Entschlossenen Schrittes wanderte Maries entlang des Klippensaums. Die Luft gab ihr Rückenwind und half ihr die steilen und steinigen Anhöhen zu meistern. Sie war schon eine Weile unterwegs, als sie beim Anstieg auf ein Plateau entschied, eine kleine Pause zu machen. Als sie das grasbewachsene Plateau erreichte, brach die Wolkendecke auf und das Licht verwandelte den tristen vom Wind gewellten Grasteppich in eine saftig grüne Aue. Die von der Sonne angestrahlten Regentropfen auf den tanzenden Halmen, glitzerten wie kleine Diamanten. Marie bewunderter dieses Schauspiel und war nach Tagen des Grau in Grau dankbar für die lichten Strahlen, die ihre Haut wärmten und ihre Seele erfreuten. Sie schloss die Augen und genoss den Augenblick und ließ die wärmenden und kraftvollen Schwingungen tief in sich eindringen. Lächelnd grüßte sie die Sonne und dankte ihr. Als sie die Augen wieder öffnete und ihren Blick über die Küste schweifen ließ, sah sie in der Ferne, die in nachmittagliches Licht getauchten Ruinen von Dunnottar Castle.
Der Anblick war atemberaubend und schön, doch die auf einer Klippe thronenden majestätischen Mauern ließen ihr auch einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen. Eine dunkle Angst überkam sie und raubte ihr den Atem. Ihre Knie fingen an zu zittern und sie ließ sich, die Burg nicht aus den Augen lassend, ins nasse Gras fallen. Sie fing an ihren vibrierenden Eingeweiden und ihrem scheinbar glühendem Gehirn gut zuzureden: «Es ist alles gut! Ich bin hier und jetzt. Die Sonne scheint und ich liebe Darius.» Es dauerte eine Weile bis sich ihr Atem beruhigte, ihre Nerven aufhörten ihren Körper erzittern zu lassen und sie von anschwellender Panik in ein wenig Entspannung fand. Ihr Blick blieb fest gehaftet auf die Ruinen der Burg. Nur wenn sie es gar nicht mehr aushalten konnte, erlaubte sie sich einen Blickschweif über die Küste und das Meer, um ihren Sinne eine Pause zu gönnen. Als sie wieder fest und sicher in sich angekommen war, wagte sie sich, dass Geröll vor ihrem Unterbewussten einen Spalt weit beiseite zu räumen und dachte mit fester Entschlossenheit: «Komme, was da wolle. Ich werde es ertragen. Ich will mutig, stark und tapfer sein!» Wie, als wenn es an der Tür klopft und man erwartungsvoll horcht, weil man nicht weiß, wer einem Aufwartung machen möchte, wurde es plötzlich ganz still in ihr und herein kam die Hebamme und Kräuterfrau Emely Lane, ein früheres Ich von Maries durch die Ewigkeit wandernder Seele, die sich vor langer Zeit mutig dem Bundesschluss Covenant angeschlossen hatte. Diese Gruppe schottischer Protestanten verpflichtete sich in einem Treueeid auf den National Covenant – ein Eid als Widerstand auf den Versuch das englische «Book of Common Prayer» in der schottischen Staatskirche einzuführen und somit den König mit seinen Ablass-gierigen Bischöfen als oberste Souveränität nicht nur des Staates, sondern auch der Kirche einzusetzen. Das Hauptanliegen dieser tapferen Schotten war jedoch nicht nur vom demokratischen Impuls für religiöse Freiheit beseelt sondern hauptsächlich von der Sehnsucht nach der Freiheit von England.
Die frühere Marie namens Emily wurde damals bei einem Aufstand im Jahre 1685 zusammen mit 166 Covenanters gefangen genommen und in das Kellerverlies Wight Vault auf Dunnottar Castle eingefercht. Das halbrunde Gewölbe maß gerade einmal 50 qm. Es gab weder sanitäre Einrichtung noch Schlafstätten. Ironischerweise lag das Kellerverlies genau unter dem Schlafgemach der Burgherren. Wie mögen sie wohl geruht haben? Nahrung konnten die Gefangenen sich, wenn überhaupt, teuer von den Wärtern erkaufen. Eng an eng saßen die Männer und Frauen nebeneinander in ihren eigenen Fäkalien, die ihnen bis zum Knöchel reichten. Die meisten von ihnen staben an Hunger oder Krankheit während dieser bestialischen Grausamkeit, die über zwei Monate währte. Der Arzt der neben Emily saß, gab sein bestes sie zu wärmen und aufzumuntern. Beide versuchten zu tun was sie nur konnten, um den Mitgefangenen zu helfen, aber viel war es nicht. Hier und da eine teuer erkaufte Schüssel Wasser und ein Fetzen Stoff um eitrige Liegestellen und Wunden zu versorgen. Emily konnte einige Male einen jungen Wärter überreden ihr Schafgabe vom Burghof mitzubringen, um die Wunden zu desinfizieren. Und dann kam der Tag der Tage. Drei Mithäftlinge konnten die betrunkenen Wachen mit einer List überwältigen. Die, die noch konnten und genügend Mut hatten, rannten. Emily rannte auch. Sie irrte durch ein Labyrinth aus dunklen Kellergängen und Gewölben. Hinter ihr ein Heer von mittlerweile alarmierten Wachen und Soldaten.
Marie saß wie ein Zeitzeugen-Monument auf dem Plateau und die Ereignisse fluteten vor ihrem geistigen Auge vorbei. Sie hörte dumpfe aus der Tiefe kommende Schreie und Schüsse. Sie sah sich in tiefer Dunkelheit rennen und nach einem Ausweg suchen. Hörte ihren hastigen Atem und spürte die Verfolger hinter sich und saß dennoch in geübter MeditationsPosition im grünen und saftigen Gras der Anhöhe und wurde von der Sonne beschienen und gewärmt.
Beinahe wurde Emily gefasst, doch jemand der hinter ihr war, konnte den Verfolger mit gezieltem Schlag und mit dem Schwert des Gegners zur Strecke bringen. Emily rannte weiter und weiter, bis sie einen frischen Luftzug verspürte und sie einen Ausgang erahnte. Auf dem Hof, den sie erreichte, kamen ihr die Wirren und der Tumult der suchenden und überraschten Wärter zu gute und es gelang ihr, durch einen Mauerspalt des Burggartens den Verfolgern zu entkommen. Doch sie kam nicht weit und schaffte es gerade noch vor dem Steilhang der Klippe anzuhalten. Sie war verzweifelt. Hinter ihr kamen Lichter, Stimmen und Schüsse immer näher und vor ihr lag der Abhang der 50 Meter in die finstere Tiefe reichte. Tief unter ihr hörte sie die Wellen an schroffen Felsen bersten. Kurz hielt sie inne. Nein, sie wollte nicht zurück. Lieber gab sie sich dem Meer hin, als durch die Hand dieser brutalen Männer zu sterben oder in dieses grauenvolle Verlies zurück kehren zu müssen. Sie fand eine Stelle die ihr verhieß wenigstens einen Teil der Klippe hinabklettern zu können. Sie ertastetet sich einen Weg bergab und klammerte sich an Gras, Wurzeln und griffigen Steinen fest. Sie kam ein Stückchen voran, fasste neuen Mut und war hoffnungsvoll den Grund lebend zu erreichen. Doch dann löste sich der Stein, an dem sie sich hielt. Sie verlor den Halt, rutschte ab und stürzte in die Tiefe.
Den nun folgenden Teil der grausamen Rückschau ersparte sich Marie. Sie kannte jedes noch so winzige Detail nur zu gut und hatte es in unzähligen Nächten durchstehen müssen und spulte weiter. Denn was sie bis hierher nicht wusste war, dass die Hand die sie rettete zu Doktor Edward Mc Kenzy oder wie er mit seinem Druidennamen «DìonAnTreun» genannt wurde, gehörte. Nämlich dem Mann, der im Verlies neben ihr saß und sie tröstete und mit dem sie sich um die kranken und verletzten Mithäftlinge kümmerte. Als sie wieder zu Bewusstsein kam, lag sie fiebernd unter einem Fell in einer kleinen Hütte. DìonAnTreun pflegte und heilte sie von ihren Verletzungen und einer schweren Lungenentzündung. Versteckt lebten sie eine Weile in einem Wald und zogen verkleidet als fahrende Händler von Ort zu Ort.
DìonAnTreun lehrte sie und zusammengeführt durch ihr Schicksal verband sie mehr noch eine tief berührende Liebe, die sie in unendlichem Vertrauen und Respekt gemeinsam weiter wachsen ließen. Viele erfüllte und erfahrungsreiche Jahre zogen ins Land.
DìonAnTreun vereinte die im Untergrund versprengte Bruder- und Schwesternschaft des Covenant und es gelang ihm, mit seinem rhetorischen Geschick, einige Adlige und Königsanhänger von seiner Sache zu überzeugen. Emily und er hatten dadurch die Möglichkeit wenigstens hier und da eine Weile in Ruhe und Sicherheit auf deren Ländereien zu verweilen. Es kam der Tag, an dem DìonAnTreun verraten wurde und in einen Hinterhalt geriet. Er wurde eingekerkert und gefoltert und da er seine Überzeugung nicht widerrief, zum Tode verurteilt und gehängt. Emily verkraftete weder Verlust noch Schmerz, verfiel dem Alkohol und berauscht mit Whiskey und Alraune stürzte sie sich ins Meer.
Edward Mc Kenzy, alias DìonAnTreun war kein anderer, als eine frühere Verkörperung der Seele die jetzt Darius Schön hieß.
Als Marie ins Jetzt zurückkehrte, war die Sonne bereits ein gutes Stückchen weitergereist. Langsam schlossen sich die Tore der Vergangenheit und Marie tastete sich, das Gras unter sich sanft umspielend, behutsam an Ort und Zeit zurück. Noch einmal schweifte ihr Blick hinüber zur alten Burg. Ihr Anblick hatte plötzlich den Schrecken verloren und Marie sandte ihr liebevolle Blicke herüber. Tränen voller Erleichterung und Erlösung liefen über ihr lächelndes Gesicht. Demütig faltete sie ihre Hände und dankte der Schöpfung für die Offenbarung und die Wahrheit.
Ein «Aua» war leise vom Rand des Plateaus zu vernehmen. Marie drehte sich um. Darius saß auf einem Stein. Eine Hand auf die linke Brust gelegt, unter der gerade wieder sein Herz schmerzte, sah er ihr sanft entgegen. «Mama Mambo schickt mich, doch wenn du lieber allein sein möchtest? Es klingelte vorhin Sturm in meinem Ohr und ich musste an Mama Mambo denken. Dann hörte ich in meinem Kopf: «Geh zu ihr! Du weißt wo sie ist.»
Marie genoss die behütende Wärme von Darius Körper und streichelte zart seine Arme, die sie schirmend hielten. «Darius, ich denke, wir kennen uns schon sehr viel länger als dieses halbe Jahr», tastete sich Marie vorsichtig vor. Sie wollte den wissenschaftlich geprägten Geist von Doktor Schön nicht überfordern.
«Ich weiß», antwortete Darius ohne zu zögern und ohne auch nur einen Hauch von Zweifel daran erkennen zu lassen. Marie drehte sich verdutzt zu ihm um und sah ihm fragend in die Augen. «Woher weißt du das? Ist das kein Problem für dich? Ich meine du bist Schulmediziner. Wenn dir Leute solche Sachen erzählen, solltest du doch eigentlich denken, nun, ja, dass sie deiner Behandlung bedürfen.» Darius lächelte müde: «Ja, aus Sicht der Lehrbücher sollte ich so etwas wahrscheinlich als pathologisch einschätzten, aber weißt du Marie, meine Sichtweise hat sich sehr verändert, seit dem ich dich, Rose und Mama Mambo kenne. Ich sehe einige meiner Patienten plötzlich unter anderen Aspekten an. Ich habe es ja am eigenen Leibe erfahren, dass anscheinend viel mehr möglich ist, als wir bislang beweisen können. Warum nicht beides in Betracht ziehen? Wer bin ich, dass ich das ausschießen kann? Ich habe in letzter Zeit viel über meine Arbeit und das, was ich in der Klinik bewerkstelligen kann, nachgedacht. Mein Rahmen ist dort sehr begrenzt. Bevor ich euch kannte, hat mir das gereicht, aber ich glaube mittlerweile, dass ich noch mehr für meine Patienten tun könnte. Ich bin davon überzeugt, dass es den Rahmen meiner Möglichkeiten erweitert, wenn ich die Energie des Geistes nicht aus Mangel an Beweisen abwerte und ausschließe sondern als Ressource in mein Tun mit einbeziehe. Ich denke, ich sollte mehr zuhören und mehr beobachten, doch dazu habe ich in der Klinik keine Zeit. Wir behandeln Menschen mit Grippe oder mit einem gebrochenen Bein, lindern ihre Symptome wie Fieber und Schmerz und richten die gebrochenen Knochen, denn das ist, was wir sehen und wahrnehmen, nämlich einen verschnupften Menschen oder einen der vor Schmerz schreit. Doch was ist, wenn der Geist verschnupft ist oder durch ein Trauma verletzt ist. Dann sehen wir nichts, wir hören nichts und wir riechen keinen Eiter. Aber dem ist nicht so. Wenn wir nämlich gut hinhören, hinsehen und beobachten, nehmen wir wahr, dass der Geist kommuniziert. Er spricht, er lässt uns Anteil nehmen und seinen Schmerz fühlen und dann ist es an uns, ob wir ihn zu Wort kommen lassen. Wenn wir ihm Raum und ein wenig Zeit geben, wird er uns verraten, wo, wie und wann er sich «erkältet» hat oder wo und wann er verletzt wurde. Bei den Menschen, die ich in der Klinik behandele, sind im übertragenen Sinne aus Erkältungen schon längst Lungenentzündungen und aus frisch geschlagenen Schmissen traurigerweise tiefe und eitrige Wunden geworden, deren Schmerz die Geister zumeist für uns auf sehr bizarre Weise ausdrücken. Ich möchte zuhören und ich möchte ihnen helfen. Warum nicht? Man kann es ja wenigstens versuchen. Viele Möglichkeiten ergeben ein breiteres Spektrum der Heilung. Doch mit der heutigen rein objektiven und wissenschaftlich begründeten Herangehensweise, komme ich in der Klinik nicht mehr weiter. Es fehlt an Aufgeschlossenheit und es fehlt an Zeit. Die moderne Medizin hat, so wie ich es jetzt sehe, nur ein Ziel, nämlich die Menschen wieder leistungsfähig und funktionstüchtig herzustellen. Und im Bereich der Geistheilung gibt sie meines Erachtens nicht viel mehr her, als symptomlindernde Medikamente zu verabreichen. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber dann liegt es an den Ärzten selbst und derer gibt es viel zu wenige.Leider! Und aus dieser Sichtweise heraus betrachtet, bin ich sogar davon überzeugt, dass wir mit unseren Methoden und Therapien das Leid des kranken Geistes sogar noch vergrößern», endete Darius, den Blick versonnen auf den Horizont, die Scheide zwischen Himmel und Meer, gerichtet, tief in seinen Gedanken versunken. «Du glaubst nicht, was mir das bedeutet? Ich dachte, es wäre besser für uns beide, wenn ich mit dem was ich sehe, fühle und glaube hinter den Berg halten würde und das es ein Punkt wäre, der immer zwischen uns stünde und in dem wir uns nie einig werden könnten.»
...
Autor: Maren Kunst
Comments