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«Durch den Kreis eines Jahres, bis in alle Zeiten...»
Buch II aus der Trilogie
«Das ganze Leben oder das Ganze leben»
«Durch den Kreis eines Jahres, bis in alle Zeiten» ist nach «Herr Hund & das Mädchen» das zweite Buch der Trilogie «Das ganze Leben oder das Ganze leben».
Die liebevolle Gemeinschaft am großen Teich wandelt durch den Kreis eines ereignisreichen Jahres, dass für die Protagonisten einiges auf den Plan stellt. Ihr Erleben spiegelt sich dabei in den Energien und den Kräften des Jahreszyklus. Viele Wege kreuzen sich und sorgen für ein dynamisches Kommen und Gehen. Doch mit Geduld, Erfahrung und Liebe meistern Marie, Hermes, Rose und all die anderen am großen Teich Seite an Seite und Hand in Hand das Unerwartete, Mysteriöse, Dramatische und all die Lektionen die das Jahr für sie ersonnen hat. Und damit sind und bleiben sie nicht alleine, denn der Zirkel wächst und gedeiht und sorgt dafür, dass Neues sprudelnd und kraftvoll inspiriert und Altes geehrt und erhalten bleibt.
«Schöne Bescherung»
Nervös und besorgt lief Hermes in der Stube vor der Tür zur Kräuterkammer auf und ab. Marie wollte bei ihm bleiben, war aber durch sein rastloses Getrappel mittlerweile auch ein Nervenbündel und hörte das Klacken seiner Pfoten auf dem Dielenboden mittlerweile auch ohne das er im Raum war.
Gedanken und Bilder rannten zwischen Hermes Ohren hin und her und er versuchte sich zusammen zu reimen, wie das Ganze geschehen konnte oder vielmehr erst einmal heraus zu finden, was eigentlich geschehen sein konnte.
Der Tag an dem Hermes Rose den Beinwell zur Heilung ihres Knöchels überbrachte und sie ihm daraufhin seinen Namen verlieh, veränderte alles. Schnuggel dankte ihm für die Rettung von Rose vor Lilly und Schröder mit den Worten: «Nichts für ungut, Hermes. Bist scheinbar ein Guter!», was soviel hieß, dass sich seine Stellung im Hause nun grundlegend geändert hatte und er endlich nicht mehr der Geduldete, sondern ein anerkanntes Mitglied der Gemeinschaft war. Schröder zollte ihm Respekt, indem er ihm den Vortritt ließ, wenn sie ins Haus gingen. Na, und Lilly?... Lilly war eigentlich wie immer. Nur hin und wieder erstaunte sie Hermes damit, dass sie ihn neckte, ihn mit seiner liebenswerten Zerzaustheit und gelegentlichen Tollpatschigkeit aufzog und ärgerte, aber ihn damit auch zum Lachen brachte. Zuweilen entwickelten sich sogar aus Blödeleien feinsinnige und tiefgründige Gespräche. Hermes war verzaubert von Lillys charmantem und klugem Geist. Sie inspirierte den seinigen und half ihm hier und da gedanklich auf die Sprünge. Seine Gefühle zu ihr änderten sich. Er war nicht nur in sie verliebt. Er war in Liebe verzaubert. Manchmal gingen sie gemeinsam am Teich spazieren und schnüffelten sich zusammen durch kleine Abenteuer, die sie entweder selbst inszenierten oder die tatsächlich geschahen. Nach einem dieser Abenteuer, die Verfolgung einer kleinen schlauen Spitzmaus, die sie offenbar verhöhnte und ihnen mal aus der einen und dann wieder aus einer ganz anderen Richtung zu rief: «Ihr kriegt mich nicht! Hier bin ich und schon bin ich wieder weg.», ruhten sie sich gemeinsam am Teichufer aus. Lilly schnaufte erschöpft, lächelte aber dabei: «Ah, ich muss mich kurz ausruhen. So ein kleines freches Luder! Aber es hat Spaß gemacht. Da vorne an der Weide hättest du sie beinahe gekriegt.» «Ja, aber nur, weil du sie eingekreist hast, wäre sie mir beinahe in die Schnauze gesprungen», plänkelte Hermes und beide lächelten...
«Soll ich dir die Pfoten lecken?», bat Hermes sich edelmütig an.«Nein, nein, das geht schon, danke! Aber wenn du mir vielleicht den Nacken etwas knabbern könntest? Das wäre nett. Das entspannt mich immer sehr.». Der Gentleman Hermes positionierte sich geschmeidig und galant an Lillys Rücken und fing ganz vorsichtig mit spitzen Zähnchen an, Lillys Nacken zu massieren. Sanft und geschmeidig arbeitete er sich ganz langsam durch ihr weiches Fell, bis hin zu ihrer zarten Haut und fand da etwas, was vorher noch nie jemand gefunden hatte, nämlich Lillys «gute Stelle».
Wäre das hier ein filmisch gestaltetes Werk und keines, schwarz auf weiß, würde die Kamera jetzt einen sanften Schwenk in irgend eine Richtung machen, in die Weiten der Natur, zum Beispiel oder in einen schönen Sonnenuntergang...
So, und nun wanderte Hermes, auf dessen Nerven man hätte Geige spielen können, in der Stube auf und ab und dachte nach. Lilly war seltsam in den letzten Tagen und Wochen. Bat ihn, wenn gar höflich, sie in Ruhe zu lassen und sagte nur: «Es ist bald soweit. Ich spüre das.» «WAS ist soweit? Lilly, rede mit mir! Bist du böse mit mir? Hab ich was falsch gemacht?», versuchte er flehentlich irgendetwas aus ihr heraus zu bekommen. «Nein, es ist schon alles gut» schnaufte Lilly bloß und ging zu ihrem neu eingerichteten Quartier in die Kräuterkammer, aus dem sie Hermes schon zwei mal mit giftigem Knurren kurzerhand heraus komplimentiert hatte.
Endlich ging die Tür zur Kräuterkammer auf und Rose, die einzige der Lilly Zutritt gewährte, kam mit glänzenden Augen und strahlendem Lächeln aus dem Kämmerchen und rief Hermes fröhlich entgegen: «Herzlichen Glückwunsch mein Lieber, was für eine süße Bescherung!» Hermes verstand nicht so recht. Genauer gesagt, verstand er überhaupt nichts und neigte sein Köpfchen etwas auf die Seite, um besser denken zu können und schaute auf die wieder verschlossene Tür zur Kräuterkammer. Marie war auch ganz aufgeregt, kniete sich neben den verwirrten Hermes, streichelte sein rauchendes Köpfchen und fragte Rose aus. Beide liefen verzückt im Stübchen herum und tranken ein Hexenwässerchen nach dem anderen. «Also, drei sind es. Oh, wie schön! Und geht es Lilly gut? Ich möchte sie so gerne sehen. Ja, ich weiß Rose. Lassen wir die Lilly noch ein wenig in Ruhe und sich erholen.» Hermes indes stand vor den beiden fröhlichen und leicht an getüttelten Frauen und versuchte zu verstehen. «Ich würde Lilly auch gerne sehen. Aha, drei also. Verstehe. Nein, tue ich nicht. Aber Lilly geht’s gut. Das ist die Hauptsache.» Hermes wuffte um das Gequietsche und Geplapper der Damen mal zu unterbrechen. «Könnte mich mal bitte jemand aufklären! Hallo, halloho, ich bin hier unten.» Rose beugte sich zu Hermes und knuddelte ihn und Marie gab ihm einen Kuss auf die Nase und schon ging das Geplapper weiter.«Weiber! Die machen mich alle samt so langsam aber sicher fertig! Na,aus denen ist nichts raus zu bekommen. Ich muss hier mal raus. Vielleicht finde ich Schnuggel. Ist zwar ne' Katze, aber wenigstens eine männliche», brubbelte Hermes vor sich hin und ging in den Garten. Er hatte Glück oder auch nicht. Er fand Schnuggel im Gartenhäuschen. «Schnuggel, schön dich zu sehen. Endlich ein Normaler hier. Sag mal, weißt du was mit Lilly ist? Ich habe sie schon zwei Tage nicht gesehen und davor war sie sehr abweisend und wollte nicht mit mir reden. Und die Damen da drinnen benehmen sich äußerst merkwürdig. Weißt du was hier los ist?», fragte Hermes seinen Lehrer in Sachen «weiblicher Natur» mit Hoffnung auf Aufklärung. Schnuggel hörte abrupt mit der Pfoten-und Krallenpflege auf und starrte Hermes mit offenem Mäulchen und riesengroßen Augen an. «Junge, das hast du mich jetzt nicht wirklich gefragt, oder? Das kann doch nur ein Scherz sein», wunderte sich Schnuggel verblüfft.«Wieso?», fragte Hermes der Verzweiflung nahe, «Was ist denn hier los? Keiner sagt mir was.» Schnuggel stand auf, grinste Hermes schamlos an, fing an zu glucksen, kicherte närrisch und dann verließ ihn seine ihn eigentlich nie verlassende Kontenance. Er stand auf dem Pflanzpodest, prustete, zeigte mit seiner scharfen Kralle auf Hermes und fing schallend an zu lachen. «Du Idiot! Das kann doch nicht war sein. Weißt du was mit Lilly los ist, fragt er mich. Das glaub ich einfach nicht.» Er haute seine Pfoten abwechselnd auf das Holz auf dem er saß oder verbarg seine Augen hinter ihnen und zu guter Letzt fing er an sich im Kreis zu drehen und vor lauter Vergnügen seinen Schwanz zu fangen.
Hermes stand sprachlos und mit offener Schnauze vor dem durchgedrehten Kater. Vorsichtig und langsam setzte er sich rückwärts gehend und so gut es ging lautlos in Richtung Ausgang in Bewegung. Er wollte den Kater nicht noch mehr aufregen. «Die sind hier scheinbar gerade alle verrückt geworden. Muss wohl am Wetter liegen. Nur die Ruhe bewahren! Ich kriege schon raus, was hier los ist», versuchte der Ahnungslose die Nerven zu behalten.
Rose und Marie hatten endlich die Stube verlassen, um ihre Rauhnacht-Zeremonie vorzubereiten. Hermes schlich zur Tür der Kräuterkammer. Den Mechanismus von Türklinken hatte er bereits ausführlich studiert. So schwer konnte das nicht sein. So stellte er sich auf die Hinterbeine und versuchte mit den Vorderpfoten die Klinke herunter zu drücken. Es dauerte ein wenig, aber siehe da, nach zwei, drei Versuchen machte es Klack und die Tür ging auf. Leise schlich er durch den schmalen Spalt und versuchte sich an die Dunkelheit im Raum zu gewöhnen, um ja nirgendwo gegen zu laufen. In dem Duft von Kräutern und Pflanzen verlor sich Lillys Witterung, aber langsam fand er sich zwischen Regalen, Gefäßen und Truhen zurecht. Nur eben von Lilly war keine Spur. Hermes fasste sich ein Herz, auch auf die Gefahr hin, dass er gleich wieder rausgeschmissen würde und rief sie: «Huhu, Lilly, bist du da? Bitte entschuldige, ich wollte dich sehen und möchte wissen, wie es dir geht. Sei nicht böse, aber die anderen sagen mir nichts und ich mache mir langsam Sorgen.»«Hallo Hermes, ich bin hier drüben unter dem Tisch», gab Lilly leise Antwort. «Darf ich zu dir kommen? Ich möchte wirklich nur wissen, ob es dir gut geht», flüsterte Hermes Lilly hoffnungsvoll entgegen.«Ja, komm ruhig», hieß Lilly ihn willkommen.
Hermes tapste unsicher im Raum herum. Hier kannte er sich noch nicht gut aus. Dann sah er endlich die Liebste. Ihm mit dem Rücken zugewandt, lag sie auf der Seite und rührte sich nicht.Sein Herz schlug bis zu seinen Ohren und er lief ohne auf Hindernisse oder Stolperfallen zu achten auf Lilly zu. «Oh Lilly, was ist mit dir? Kann ich dir helfen? Was, was ist das?» Hermes stellte seine Augen scharf und erkannte drei winzige Gestalten, die putzmunter und fidel an Lilly knabberten. «Das sind ja Junge! Wo hast du die her?», rief er ihr ungestüm, verwirrt und fassungslos entgegen. Eine Frage, für die er sich sein Leben lang schämen würde, jedes mal wenn Lilly ihn damit aufzog.
Lilly wandte ihren Kopf zur Seite und lächelte ihm liebevoll in die weit aufgerissenen Augen. Im gleichen Moment spulte sich hinter Hermes Stirn, in rasender Geschwindigkeit, der Erinnerungsfilm der letzten zwei Monate ab. Als der Film abrupt am Tage der Spitzmausjagd endete, fingen seine Knie an zu zittern, seine Pfoten wurden taub und er fiel um...
Autor: Maren Kunst
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